Tiere, die in menschlicher Obhut gehalten werden, können ihre kognitiven Fähigkeiten oftmals nicht oder kaum einsetzen, weil die entsprechenden Reize fehlen. Damit werden die physischen und psychischen Bedürfnisse nur ungenügend gedeckt und das Wohlbefinden der Tiere eingeschränkt.
Mit dem Konzept der Anreicherung der Umwelt, auf Englisch Environmental Enrichment, will man die Haltungsbedingungen so gestalten, dass die Tiere ihr artspezifisches natürliche Verhalten zeigen können (Würbel 2024).
Verschiedene Untersuchungen bei Fischen haben ergeben, dass eine angereicherte Umgebung sich positiv darauf auswirkt, wie sich die kognitiven Fähigkeiten entwickeln. Die Fische zeigten beispielsweise ein besseres räumliches oder soziales Lernen (Salvanes 2013, Strand 2010) oder wiesen ein besseres Erinnerungsvermögen auf (Roy 2016).
Die kognitiven Fähigkeiten entwickeln sich in der Umgebung, in der die Tiere natürlicherweise leben. Sie befähigen diese, sich darin zurechtzufinden, zu gedeihen und zu überleben. Daher sollte sich eine Anreicherung immer am natürlichen Verhalten der Art orientieren.
Futterspender als Anreicherung
Als kognitive Anreicherung werden gerne Knobelfutterspender (puzzle feeder) verwendet, unter anderem auch in der Verhaltensforschung. Aus verschiedenen Untersuchungen bei Zoo- und Nutztieren weiss man, dass einige Tierarten gewillt sind, für Futter zu arbeiten, obschon frei verfügbares Futter vorhanden ist (englisch: contrafreeloading) (Inglis 1997, Sasson-Yenor & Powell 2019).
In dieser Studie untersuchten Varracchio und Kolleg:innen, ob Guppys (Poecilia reticulata) ebenfalls einen solchen Knobelfutterspender bevorzugen. Um ans Futter im Spender zu kommen, mussten die Guppys in einem Training zuerst lernen, einen Deckel wegzuschieben (s. unten Versuchsaufbau und -durchführung). Wie man verschiedentlich nachgewiesen hat, sind Guppys erstaunlich gut darin, Probleme bzw. Aufgaben zu lösen, denen sie zum ersten Mal begegnen (Lucon-Xiccato 2019, Mair 2021). Im an die Trainingsphase anschliessenden Präferenztest standen den Guppys dann gleichzeitig der Knobelfutterspender und ein Futterspender mit frei zugänglichem Futter zur Auswahl.
Versuchsaufbau
Für den Versuch wurden 16 ca. einjährige, erwachsene Guppys eingesetzt, je acht Männchen und acht Weibchen. Sie setzten die Zuchtform „snakeskin cobra green“ ein, da Zuchtformen üblicherweise weniger scheu und weniger gestresst sind als der Wildtyp.
Testaquarium mit Futterspendern
Das Testaquarium war in zwei Teile unterteilt. Im grösseren Teil waren zwei Futterspender positioniert, in denen das Futter verabreicht wurde. Der kleinere Teil war in drei Kompartimente unterteilt. In den beiden äusseren befanden sich je zwei Artgenossen, um die Isolation des Testsubjekts abzumildern. Das mittlere diente als Startbox und war mit einer durchsichtigen Falltür versehen, die während des Trainings und des Tests manuell geöffnet wurde, damit die Fische zu den Futterspendern gelangen konnten.
Versuchsablauf
Der Versuch lief in drei aufeinanderfolgende Phasen ab: (1) Als erstes wurden die Fische während dreier Tage an das Testaquarium mit den Futterspendern gewöhnt, (2) anschliessend wurden sie während mind. 3 Tagen trainiert, die Aufgabe zu lösen und (3) zum Schluss erfolgte der Präferenztest mit dem Knobelfutterspender und frei verfügbarem Futter.
Training
Das Ziel des Trainings war, dass die Fische lernten, vom den Futterspendern zu fressen, (5 × 5 × 0.8 cm). Das Futter wurde dazu in einer Vertiefung (Ø 10 mm und 4 mm tief) im Futterspender platziert. Sobald das Futter platziert war, wurde die Tür geöffnet und der Guppy konnte sich das Futter holen. Die Vertiefung des Knobelfutterspenders wurde nach und nach mit einem Deckel zugedeckt, bis sie ganz geschlossen war und der Guppy den Deckel wegschieben musste, um ans Futter zu gelangen. Die Guppys brauchten im Schnitt 3.5 Tage (Bandbreite 3-7 Tage), um die Aufgabe erfolgreich zu lösen.
Präferenztest
Während der Testphase war Deckel immer geschlossen. Der Guppy konnte nun wählen, ob er vom Futterteller mit frei verfügbarem Futter oder vom Knobelfutterspender fressen wollte. Die Guppys absolvierten insgesamt 100 Durchgänge während 10 Tagen, 10 pro Tag.
Zuerst das Vergnügen und dann die Arbeit
Die Guppys wählten mehrheitlich zuerst das frei verfügbare Futter. Die Art lebt sozial und konkurriert stark um Futter, was vermutlich zu diesem Ergebnis führte. Dennoch wählten die Guppys in immerhin 20% der Durchgänge zuerst den Knobelfutterspender. Und auch wenn sie zuerst das frei verfügbare Futter frassen, leerten sie danach praktisch immer auch den Knobelfutterspender.
Bei den Weibchen fiel die erste Wahl häufiger auf den Knobelfutterspender als bei den Männchen. Von früheren Arbeiten mit Guppys ist bekannt, dass die Geschlechter Aufgaben unterschiedlich gut lösen. In einer ähnlichen Studie, bei der die Guppys ebenfalls einen Deckel von einem Futterspender wegschieben mussten, schnitten die Weibchen besser ab, hingegen fanden die Männchen den Weg zum Futter besser, wenn dieses in einem transparenten Zylinder platziert war (Lucon-Xiccato 2019).
In der vorliegenden Studie zögerten die Weibchen zudem weniger lange, die beiden Futterspender zu leeren. Die Autor:innen vermuten, dass die Unterschiede an den unterschiedlichen selektiven Kräften liegt, die auf die Geschlechter einwirken und damit unterschiedliche kognitive Fähigkeiten begünstigen. Möglicherweise waren die Weibchen also für diese Aufgabe kognitiv besser gerüstet. Eine andere Erklärung wäre, dass sie einfach hungriger waren. Allerdings waren beide Geschlechter ähnlich interessiert, nach der ersten Mahlzeit zusätzlich jeweils den Knobelfutterspender auch noch zu leeren
Guppys können mit Futter beschäftigt werden
Der Präferenztest zeigte, dass Guppys fähig sind zu lernen, einen Futterspender zu manipulieren, um an Futter zu gelangen. Auch wenn die Guppys nur bedingt bereit waren, sofort für Futter zu arbeiten, könnte ein Knobelfutterspender dennoch als kognitive Anreicherung dienen und die Fische beschäftigen.
Die Autor:innen weisen zudem darauf hin, dass bei der Entwicklung von Anreicherungen bei allen Arten auch die individuellen Unterschiede berücksichtig werden sollten, neben dem Geschlecht auch das Alter oder die Persönlichkeit von Fischen, da es scheuere und mutigere, erkundungsfreudigere und gemütlichere Individuen gibt.
Die in diesem Experiment verwendete Guppy-Zuchtform ‘snakeskin cobra green'.