Meist werden solche Experimente im Labor gemacht, weil das im Freiland schwierig umzusetzen ist. Allerdings können im Labor die unterschiedlichen natürlichen Bedingungen der Wildnis kaum simuliert werden, unter denen die Fische ihr Verhalten entwickelt haben. Deshalb sind Studien wie diejenige von Snijders und Kollegen, die im natürlichen Lebensraum durchgeführt werden, sehr wertvoll. Denn dadurch lernen wir viel über das natürliche Verhalten von Fischen, in diesem Fall über das Sozialverhalten.
In Trinidad und Tobago, zwei Inseln in der Karibik, leben Guppys (Phoecilia reticulata) in Flüssen, in denen sich durch Steine und Felsen natürliche Bassin bilden. Die Forscherinnen haben in diesen Bassins Gruppen unterschiedlicher Grösse eingesetzt und untersucht, wie die Guppys bei der Futtersuche abschnitten.
In sieben solcher Bassins haben die Forscherinnen entweder ein Individuum allein oder Gruppen aus vier bzw. acht Individuen eingesetzt. Diese Gruppen bestanden jeweils nur aus Männchen oder Weibchen. Als Kontrollgruppe setzten sie eine Gruppe aus einem Männchen und sieben Weibchen ein.
An fünf markierten Orten im Bassin richteten sie je eine Futterstelle ein, die sie jeweils nacheinander mit Futter bestückten. Sie beobachteten, wie lange es dauerte, bis die Guppys das Futter entdeckten und wie viele Bissen sie davon nahmen.
Tatsächlich entdeckten sowohl die weiblichen als auch die männlichen Guppys die Futterstellen in Gegenwart von Artgenossen eher und näherten sich diesen auch schneller. Und je grösser die Gruppe war, desto erfolgreicher waren sie und umso mehr Futter nahmen die einzelnen Fische auf.
Das vielschichtige Sozialleben der Guppys
Überraschend für die Forscher:innen schnitten beide Geschlechter gleich gut ab. Denn zum einen leben die Weibchen sozialer als die Männchen, die räumlich und sozial mobiler sind. Und zum anderen brauchen sie mehr Futter als Männchen. Daher würde man erwarten, dass sie mehr von der Anwesenheit ihre Artgenossinnen profitieren. Allerdings frassen die Männchen in Gegenwart von Weibchen weniger als in den reinen Männchengruppen. Vermutlich waren sie neben dem Fressen damit beschäftigt, die Weibchen zu umwerben. Zudem frass das Guppy-Weibchen, wenn es alleine im Bassin war, mehr als das Männchen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass weibliche und männliche Guppys bei der Futtersuche davon profitieren, wenn sie in Gesellschaft von Artgenossen sind. Die Vorteile der gemeinsamen Futtersuche könnte also eine der Ursachen dafür sein, warum Fische sozial leben. Allerdings scheint das bei den Männchen nicht immer gleich vorteilhaft zu sein, denn sie leben häufig weniger sozial als die Weibchen, die mitunter stabile soziale Beziehungen untereinander eingehen und gegen Feinde zusammenspannen. Das soziale Leben der Guppys lässt sich nicht einfach generell beschreiben, sondern muss auch für den individuellen Fisch untersucht werden.
Kommentar Fischwissen
Die Studie ist eines der wenigen Beispiele, bei denen Fische in ihrer natürlichen Umgebung untersucht wurden. Mehr solcher Verhaltensbeobachtungen aus dem Freiland wären wünschenswert, denn bei vielen Fischarten ist wenig über ihr natürliches Verhalten bekannt. Allerdings sind Freilandstudien meist ein aufwändiges und schwieriges Unterfangen.