Ungünstige Lebensbedingungen wie Giftstoffe im Wasser oder künstliche Haltungsbedingungen können Stress bei Fischen verursachen und somit ihre Wohlbefinden mindern. Stress wiederum kann die stabile Entwicklung eines Organismus stören und zu Abweichungen im Körperbau führen.
Häufig werden solche Störungen in der Entwicklung auch durch Asymmetrien bei bilateralen Merkmalen (Bilateralsymmetrie: die linke Seite ist spiegelbildlich zur rechten Seite) gemessen. Solche Merkmale sind zum Beispiel Kiemen, Flossen, Schuppen oder Barteln. Eine Asymmetrie zeigt sich darin, dass diese Merkmale auf den beiden Körperseiten zufällige Abweichungen aufweisen, zB. in der Grösse oder Länge. Es wird angenommen, dass Individuen mit derartigen Asymmetrien schlechter mit Herausforderungen aus der Umwelt umgehen können. Stress kanns sich zudem auf das Immunsystem auswirken, was zu in einer erhöhten Anfälligkeit für Parasiten führen kann.
An Goldfischen (Carassius auratus) und an Spiegel- und Schuppenkarpfen, zwei Varietäten des Karpfens (Cyprinus carpio), wurde untersucht, ob solche Abweichungen und Asymmetrien vermehrt in Gefangenschaft auftreten. Dazu wurde von allen drei Arten je Individuen aus einem künstlichen Teich sowie aus dem Freiland (Fluss) auf verschiedene Merkmale hin miteinander verglichen. Die Haltung im Teich zeichnete sich durch hohe Besatzdichten und schlechte Wasserqualität aus und stellte somit ungünstige Umweltbedingungen dar. Der Fluss stellte die natürlichen Bedingungen dar.
Verglichen mit den Individuen aus dem Fluss hatten Goldfische aus dem Teich weniger Schuppen bei der Seitenlinie (Sinnesorgan für Bewegungsreize) oder kürzere Flosse. Die Teich-Karpfen besassen kürzere Barteln und längere Bauchflossen und wiesen auch mehr morphologische Anomalien (z.B. Vergrösserung des Mauls) auf.
Der Befall mit Ektoparasiten war bei den Goldfischen aus dem Teich stärker als bei ihren wilden Artgenossen. Die Teich-Individuen beider Arten waren auch variabler in den gemessenen bilateralen Merkmalen, d.h. zum Beispiel traten auf den beiden Körperseiten häufiger eine unterschiedliche Anzahl Schuppen am Seitenlinienorgan oder unterschiedliche Längen der Barteln auf.
Abweichungen im Körperbau, Asymmetrien in bilateralen Merkmalen und der Befall von Ektoparasiten können also genutzt werden, um Auswirkungen von Stress zu untersuchen. Eine verbesserte Haltung, d.h. günstige Umweltbedingungen, kann Stress mindern und somit eine normale Entwicklung der Fische fördern und das Wohlbefinden erhöhen.