Die Grundlage des Tests ist, dass das Tier in der Lage ist, zwischen "Selbst" und "Anderer" zu unterscheiden und daher sich selbst im Spiegelbild zu erkennen.
Die Interpretation der Ergebnisse des Spiegeltest ist noch immer Gegenstand einer breiten wissenschaftlichen Diskussion und diese wird umso strenger geführt, je grösser die stammesgeschichtliche Distanz zu den Primatenarten ist, für die der Test entwickelt wurde.
Der Spiegeltest
Der Psychologe Gordon G. Gallup entwickelte den Test 1970 ursprünglich für Schimpansen. Bisher haben den Test nur wenige Tierarten bestanden: Menschenaffen, Asiatische Elefanten, Grosse Tümmler, europäische Elstern. Kleinkinder bestehen ihn im Alter von ca. zwei Jahren, viele andere Tierarten bestehen ihn nicht, wie etwa Hunde oder Papageien. Erst 2019 wurde eine Studie publiziert, die Fische dem Spiegeltest unterzog. Die Resultate liessen aufhorchen.
Der Spiegeltest wurde von Gallup (1970) entwickelt, weil er herausfinden wollte, ob nicht-menschliche Primaten ein Selbstbewusstsein haben. Beim Spiegeltest werden die Tiere ihren Spiegelbildern ausgesetzt und ihre Reaktionen darauf beobachtet.
Beim weiterführenden Spiegel-Markierungstest wird Tieren eine Markierung, z.B. ein farbiger Fleck, äusserlich und vom Tier unbemerkt an einer Körperstelle angebracht, so dass sie diesen Fleck nur mit Hilfe des Spiegels sehen können. Versuchen die Tiere, den Fleck zu berühren oder zu entfernen, wird dies als Beweis genommen, dass sie fähig sind, eine Verbindung zwischen der Markierung und dem eigenen Körper herzustellen und zu erkennen, dass das Spiegelbild sie selbst darstellt.
Spiegeltest bei verschiedenen Arten
Vielfach wird in der Forschung zur Intelligenz von Tieren ein vergleichender Ansatz gewählt, indem man das Verhalten von beispielsweise verschiedenen Wirbeltieren vergleicht und so auf die Entstehungsgeschichte von Fähigkeiten schliesst. So wurde auch der Spiegeltest bei Arten aus verschiedenen taxonomischen Gruppen angewendet. Dabei stellen sich verschiedene Fragen zur Eignung dieses Tests, beispielsweise ob dem im Test gezeigten Verhalten der verschiedenen Arten und verschiedener Taxa tatsächlich dieselben kognitiven Prozesse zugrunde liegen. Zudem wurde der Test ursprünglich für Primaten entwickelt, die Extremitäten, also Hände und Füsse haben, mit denen sie auf sich selbst bezogenes Verhalten ausführen können.
Kann der Test dennoch bei Tieren angewandt werden, die diese anatomischen Voraussetzungen nicht haben? Was sagt dies aus über den Test? Ist es der richtige oder einzige Test, mit dem man Selbstwahrnehmung testen kann? Dass Tiere den Spiegeltest nicht bestehen, muss nicht heissen, dass sie keine Selbstwahrnehmung haben und kann vielfältige Gründe haben: Sie sind nicht motiviert, können sich nicht darauf konzentrieren oder haben die visuellen Voraussetzungen nicht oder müssen erst intensiv trainiert werden, damit sie den Test bestehen, wie eine Studie mit Makaken zeigte (Chang et al. 2015).
Die 3 Phasen des Spiegeltests
Beim Spiegeltest werden typische Reaktionen auf das Spiegelbild beschrieben. Diese Reaktionen können in drei Phasen aufgeteilt werden:
Phase 1: Das Spiegelbild wird als ein unbekannter Artgenossen wahrgenommen und teilweise aggressiv darauf reagiert.
Phase 2: Die Tiere zeigen ungewöhnliche Verhaltensweisen, die sie sonst nicht zeigen und die darauf hindeuten, dass eine Verbindung zwischen dem eigenen Verhalten und demjenigen des Spiegelbildes gemacht wird.
Phase 3: Die Tiere beginnen das Spiegelbild und mit Hilfe des Spiegels sich selber zu erkunden, ohne aggressives Verhalten zu zeigen.
Spiegeltest bei Fischen
Spiegeltests werden häufig dazu genutzt, das Aggressionsverhalten zu untersuchen, insbesondere bei Fischen wie beispielsweise dem Kampffisch (Betta splendens) (Arnott et al. 2016). Dabei wird vorausgesetzt, dass die Fische sich nicht selbst im Spiegel erkennen. Interessant ist, dass in einem Versuch an drei verschiedenen Fischarten unterschiedliche Reaktion auf die Spiegel gezeigt wurden (Balzarini et al., 2014).
Und erkennen sie sich doch?
Bisher wurde bei Fischen die Selbstwahrnehmung mit Hilfe von Spiegeln nur bei Mantarochen untersucht, allerdings ohne Markierungstest (Ari & D’Agostino, 2016). Dieser wurde zum ersten Mal mit dem Gemeinen Putzerlippfisch (Labroides dimidiatus) durchgeführt (Kohda et al. 2019).
Die Autoren kommen in dieser Studie zum Schluss, dass die Putzerfische alle Kriterien erfüllen, die für das Bestehen des Selbst-Erkennungstest nötig sind. Dennoch halten sie sich in der Einschätzung über ein vorhandenes Selbstbewusstsein dieser Putzerlippfischart zurück und die Resultate werden in der Wissenschaft kritisch diskutiert (deWaal 2019).
Die Studie ist aber nicht nur ein wertvoller Beitrag zur Frage, ob Fische ein Selbstbewusstsein haben, sondern sie wirft auch die Frage auf, ob der Spiegeltest die richtige und bei allen Tieren einsetzbare Methode für diese Fragestellung ist, aber auch warum bei Fischen andere Massstäbe gelten sollen als bei anderen Wirbeltieren.
Mehr zu dieser Studie in der Bibliothek.
Follow-up Studie
Die Autoren haben 2022 ein follow-up ihrer Studie durchgeführt, in der sie auf die Kritiken an der ersten Studie eingegangen sind. Und sie haben mit weiteren Experimenten ihre Resualte aus der ersten Studie bestätigen können. Die Zusammenfassung dieser Studie ist ebenfalls in der Bibliothek zu lesen.
Der Putzerlippfisch lebt in Korallenriffen. Hier unterhält er sogenannte Putzstationen, an denen sich andere Meeresbewohnern von ihm die Parasiten entfernten lassen.