Fische geniessen nicht denselben Stellenwert wie andere Wirbeltiere. Im Gegensatz zu den Landwirbeltieren wird Fischen teilweise noch immer ein Schmerzempfinden abgesprochen. Übersichtsarbeiten wie die zwei hier besprochenen Artikel sind daher sehr wertvoll. Sie stellen vorhandenes Wissen zusammen und helfen, uns ein Bild aufgrund von Fakten zu machen. Beide Artikel befassen sich mit den kognitiven Fähigkeiten und dem Empfindungsvermögen von Fischen. In der Diskussion um das Tierwohl sind die kognitiven Fähigkeiten von Tieren ein zentrales Feld.
Fische zeigen eine grosse Vielfalt an Fähigkeiten
Die Leistungen eines Hirns sind beachtlich. Das zentrale Nervensystem erlaubt es einem Individuum, Informationen aus der Umwelt aufzunehmen, zu verarbeiten, zu speichern und aktiv darauf zu reagieren (kognitive Fähigkeiten). Betrachtet man die Situation aus einem vergleichenden, evolutionsbiologischen Blickwinkel wird klar, dass alle Wirbeltiere auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgehen und somit auch genetische Schlüsselmerkmale dafür teilen, wie ihre Körper aufgebaut sind, inklusive Hirn.
Fische haben eine seit 500 Millionen Jahren währende Entwicklung aufzuweisen und haben eine dementsprechend hohe Artenvielfalt entwickelt und sich an sehr unterschiedliche ökologische und soziale Umwelten angepasst. Kaum erstaunlich, dass sich auch bei Fischen kognitive Fähigkeiten wie Lernen, Erinnerungsvermögen, soziales und räumliches Lernen, Entwickeln von Traditionen, Selbsterkennung via Geruch, soziale Intelligenz oder Werkzeuggebrauch finden. Sie stehen darin den Landwirbeltieren in nichts nach.
Fakten unterstützen die These der Empfindungsfähigkeit
Beide Autoren sind der Ansicht, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzen zehn Jahre zur Empfindungsfähigkeit bei Fischen kaum Zweifel daran lassen, dass Fische Schmerzen empfinden. Schmerzen zu empfinden und darauf reagieren zu können, ist für das Überleben zentral. Ohne Schmerzempfinden wäre es Fischen mit ihrem komplexen Verhalten und hohen kognitiven Fähigkeiten höchstwahrscheinlich kaum möglich gewesen, zu überleben. Möglicherweise ist Schmerzempfinden sogar eine Voraussetzung für die Entstehung komplexer kognitiver Prozesse.
Fisch-Wellness vermindert Stress
Einen sehr interessanten Aspekt für die weitere Forschung über das Wohlbefinden von Fischen wird im Artikel von Bshary & Brown erwähnt. Eine wiederholte Kritik an die Schmerzforscher ist, dass das subjektive Empfinden von Schmerz schwierig oder kaum nachzuweisen ist. Ein möglicher Weg, dies nachzuweisen, wäre zu zeigen, dass die negative Erfahrung negative Auswirkungen auf die Gesundheit und somit das Überleben des Fisches hätte, ohne dass der Fisch dabei einen körperlichen Schaden erleidet.
Bshary & Brown führen nun ein Beispiel an, in dem zwar nicht das subjektive Empfinden von Schmerz, also eine negative Erfahrung, nachgewiesen wurde, sondern umgekehrt, dass sich eine Vergnügen bereitende Erfahrung positiv auswirkte: Putzerlippfische entfernen ihrer Fischkundschaft nicht nur Parasiten aus dem Schuppenkleid, sondern massieren sie auch, indem sie ihnen mit ihren Flossen über den Rücken streichen.
Im Experiment mit einem Modellfisch konnte gezeigt werden, dass Fische, die sich massieren liessen, einen tieferen Cortisolspiegel (Stresshormon) aufweisen. Und zwar sowohl in der Situation ohne Stress als auch nach einer akuten Stresssituation. Fische profitieren demzufolge von einem lustvollen, Vergnügen bereitendem Kontakt mit anderen Fischen, indem sich dieser positiv auf ihre Gesundheit in Form einer geringeren Stressbelastung auswirkt (Soares 2011). Interessant ist es also auch danach zu fragen, was Tiere als angenehm empfinden, nicht nur worunter sie leiden. Möglicherweise würde dies mithelfen, den Tierschutz auch bei Fischen voranzutreiben.
Fakten müssen in die ethische Diskussion einfliessen
Die Fülle von Informationen über das komplexe Verhalten und die hohen kognitiven Fähigkeiten von Fischen muss in die gesellschaftliche Diskussion über den Tierschutz bei Fischen einfliessen. Die Autoren plädieren dafür, dass wir die Fische in unseren „moralischen Kreis“ aufnehmen und ihnen den Schutz zugestehen, den sie verdienen.