Schlafen ist ein weit verbreitetes Verhalten im Tierreich. Nicht nur Wirbeltiere schlafen, sondern auch Wirbellose wie Fruchtfliegen, Plattwürmer oder Tintenfische. Bei Fischen als der grössten Wirbeltiergruppe ist dieses Verhalten bisher allerdings wenig erforscht (Norman 2024).
Schlaf hat Einfluss auf kognitive Prozesse
Der Schlaf beeinflusst unter anderem das Immunsystem, die Bildung von Nerven, aber auch das Wohlbefinden. Zudem geht man davon aus, dass der Schlaf viele kognitive Prozesse beeinflusst, zum Beispiel das Lernen und wie gut das Gelernte erinnert wird.
Lernen und Erinnern spielt im Leben vieler Tiere – auch bei Fischen – eine wichtige Rolle, zum Beispiel bei der Futtersuche, der Orientierung oder bei sozialen Interaktionen.
Die hier vorgestellte Studie untersuchte den Zusammenhang zwischen Schlafen und diesen kognitiven Prozessen in einem Wahl- und Erinnerungsversuch bei Gemeinen Putzerlippfischen (Labroides dimidiatus). Dabei zeigte sich, dass ein ungestörter Schlaf wichtig ist, damit die Fische ihre mentalen Fähigkeiten uneingeschränkt nutzen können.
Komplexes Zusammenleben im Riff
Gemeine Putzerlippfische leben in den Korallenriffen des Indopazifiks. Im Riff betreiben sie sogenannte Putzerstationen, wo sie anderen Meereslebewesen Parasiten und abgestorbenes Gewebe entfernen. Diese Putzsysteme sind hochkomplex und verlangen von den Putzerfischen einiges an kognitiven Fähigkeiten ab.
Täglich bedienen bis zu 3'000 verschiedene «Kunden», die häufig mehrere Male pro Tag vorbeikommen. Sie müssen diese Kunden also erkennen und sich jeweils daran erinnern können, welche Begegnungen positiv verlaufen sind und welche nicht. Als gruppenlebende Tiere haben sie zudem ein komplexes Sozialleben.
Während sie die Putzdienste jeweils tagsüber anbieten, ziehen sie sich nachts in Spalten oder Höhlen zurück, wo sie bis zum Morgen verharren.
In Studien wurde bisher verschiedentlich gezeigt, dass Gemeine Putzerlippfische kognitiv herausfordernde Aufgaben meistern können. So bestehen sie zum Beispiel das Spiegel-Markierungsexperiment. Nachgewiesen ist auch ihr gutes Erinnerungsvermögen.
Futter finden und sich daran erinnern
Die Autor:innen wollten deshalb untersuchen, ob die Putzerfische eine neue Aufgabe schlechter lösen würden, wenn sie in ihrem nächtlichen Schlaf durch Licht gestört werden, als wenn sie ungestört schlafen können. Dazu stellten sie den Fischen die Aufgabe, Futter in einem von vier Quadraten zu finden (Lernphase), wobei das Quadrat mit dem Futter jeweils mit der Farbe Rot markiert war und täglich verschoben wurde. Nach einer sechstägigen Ruhepause mussten sie zeigen, wie gut sie sich an das richtige Futterquadrat erinnern konnten (Erinnerungsphase). Als Kontrolle dienten Fische, die ihre Nacht ungestört in Dunkelheit verbringen durften.
Für das Experiment wurden 12 Putzerlippfische jeweils einzeln in einem Testaquarium gehalten. Das Testaquarium war durch eine durchsichtige Scheibe, in die ein Tür integriert war, in zwei Abteile unterteilt. Im Aquarium gab es zudem ein eine undurchsichtige Röhre als Versteck.
Futter erhielten die Fische jeweils einmal am Tag in Form einer Shrimpspaste und zwar immer im selben Abteil. Als erstes mussten die Fische lernen, durch die Tür zu schwimmen, um ans Futter zu gelangen.
Lernphase
Nach der zweitägigen Eingewöhnungsphase wurden je sechs Fische einem Lichtregime zugeordnet. Die eine Gruppe wurde nachts von 22.00 bis 08.00 Uhr während zehn Stunden in kompletter Dunkelheit gehalten. Bei der zweiten Gruppe wurde das Licht alle zwei Stunden für eine Stunde eingeschaltet. Zudem wurde die Röhre mit einer durchsichtigen Röhre gleicher Grösse ersetzt, so dass die Fische auch hier dem Licht ausgesetzt waren.
Während drei Tagen wurde die Fische nun einem Test mit Futterbelohnung unterzogen. Dazu wurden vier Quadrate (rot, grün, schwarz, gelb) in einer Reihe in einem der beiden Abteile angebracht, wobei sich die Shrimpspaste immer hinter dem roten Quadrat befand. Die Anordnung der Quadrate wechselte jeden Tag. Gemessen wurde, wie schnell die Fische das Abteil verliessen, wie schnell sie den richtigen Ort des Futters fanden und wie viele Versuche sie dazu brauchten.
Erinnerungsphase
Anschliessend an diese Lernphase folgte eine sechstägige Ruhephase und dann nochmals eine dreitägige Phase mit dem gleichen Fütterungsregime mit den Quadraten. Während dieser Phasen wurden die Fische unter dem normalen Lichtregime gehalten, also ohne Lichtstörung. Nun interessierte, wie gut sich die Fische daran erinnern konnten, in welchem Futterquadrat sie das Futter finden. Dazu wurden dieselben Parameter gemessen wie während der Lernphase.
Gruppe schneidet schlechter ab
Tatsächlich schnitten die Fische, die in der Nacht mit Licht gestört wurden, während der Lernphase schlechter ab als diejenigen aus der ungestörten Gruppe. Sie brauchten länger als diese, bis sie das Startabteil im Testaquarium verliessen (durchschnittlich 2300 bzw. 120.5 Sekunden), um auf Futtersuche zu gehen. Zudem wählten sie öfters das falsche Futterquadrat (durchschnittlich 11 bzw. 3 falsche Treffer) und brauchten länger bis sie die Futterbelohnung im richtigen Futterquadrat fanden (2277.7 bzw. 120.5 Sekunden). Allerdings verbesserten sich beide Gruppen im Verlaufe der drei Tage und näherten sich in ihren Ergebnissen an.
In der Erinnerungsphase unterschieden sich die Gruppen dann nicht mehr, mit Ausnahme von Tag 2, an dem die die lichtgestörte Gruppe länger brauchte, das Futter zu finden (21.2 bwz. 8.7 Sekunden). Insgesamt schnitten jedoch beide Gruppen während dieser Phase besser ab als in der Lernphase.
Negative Wirkung von schlechtem Schlaf auf kognitive Fähigkeiten
Zwar konnten sich die Putzerlippfische trotz ihres gestörten Schlafs während der Lernphase anschliessend relativ gut daran erinnern, wo das Futter versteckt war. Doch sie hatten zu Beginn deutlich mehr Mühe, die neu zu lernende Aufgabe zu meistern als die ungestörten Fische. Damit reihen sich diese Resultate zu Fischen ein in eine Serie Studien zu anderen Tiergruppen und bestätigen, dass ein gestörter Schlaf sich negativ auf kognitive Prozesse wie das Lernen von neuen Aufgaben auswirken kann.